G wie Gedanken

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Gedanken sind nur Angebote - aber von wem eigentlich und woher kommen sie? Und was kann ich mit diesem reichhaltigen Angebot tun?
Gedanken entstehen in unserem Gehirn. Dort entsteht aber noch so viel mehr, dass ich den Teil, der unsere Gedanken produziert, Verstand nennen möchte. Der Verstand ist unsere Denkmaschine. Er tut den lieben langen Tag nichts anderes als Gedanken auszuspucken. Diese Gedanken basieren alle auf irgendeiner Lernerfahrung, die wir in der Vergangenheit gemacht haben. Das können nicht nur direkte, praktische Erfahrungen sein, die wir ganz persönlich gemacht haben, sondern auch alles, was wir bei anderen sehen, in Medien wahrnehmen, von Mitmenschen erzählt bekommen usw. Unser Verstand saugt alle diese Informationen auf, speichert sie im Gedächtnis ab und holt sie bei jeder ansatzweise passenden Gelegenheit wieder raus. 
Das funktioniert ein bisschen wie bei einem Stichwortverzeichnis, auf Therapeutendeutsch auch assoziativ. Der Verstand erhält ein Stichwort, z.B. Hund, und spuckt alles dazu aus, was er im Angebot hat: Tier, vier Beine, weiches Fell, scharfe Zähne, niedlich, gefährlich, streicheln, wegrennen usw. Die wichtigste Aufgabe unseres Verstandes ist es, unser Überleben zu sichern. Er warnt daher ganz besonders vor Gefahren und möchte aufkommende Probleme möglichst lösen. Vor unangenehmen Erfahrungen, z.B. Scheitern, möchte er uns bewahren. Beim Beispiel des Hundes kommen daher oft die Infos "scharfe Zähne, gefährlich, wegrennen" zuerst, besonders dann, wenn nur wenige positive Erfahrungen mit Hunden abgespeichert wurden. Und bei einem Vortrag vor vielen Menschen drängen sich womöglich die Gedanken "bewertet werden, schlecht vorbereitet sein, versagen können, am liebsten im Erdboden versinken, lieber nicht dafür melden" auf. Das alles in guter Absicht unseres Verstandes...
Wenn ich jetzt aber immer und sofort nach den ersten und lautesten Gedanken handle, kann das ebenso unangenehme Folgen haben: Ich gehe vielleicht nicht mehr im Park spazieren, weil dort viele Hunde sind. Oder ich drücke mich um jeden Vortrag und schaffe mein Studium nicht oder komme im Job nicht so weiter, wie ich es mir eigentlich wünsch. Denn: unser Verstand schaut immer zuerst auf die kurzfristigen Folgen. Klar, die treten ja auch zuerst ein. Und wenn es tatsächlich um Lebensgefahr ginge, wären die langfristigen dann auch egal... Aber: in unserer heutigen Lebenswelt geht es in den allermeisten Fällen eben nicht ums unmittelbare Überleben und es würde uns mehr bringen, uns auf die langfristigen positiven Folgen zu konzentrieren. Z.B. auf die Erholung durch den Spaziergang oder die Zufriedenheit durch den Erfolg im Beruf. Dabei stehen uns oft unsere Gedanken im Weg.
Mal angenommen, es gäbe im Gehirn nicht nur den Verstand als Denkmaschine, sondern auch noch jemanden, der das alles sortiert und auswählt. Diesen Anteil möchte ich Beobachter nennen. Dieser Beobachter kann unsere Gedanken wahrnehmen, formulieren und benennen und das alles während der Verstand sie produziert. Wie das geht, haben wir alle schon erlebt. In dem Moment, wo ich zu jemandem sage: "Ich habe den Gedanken, dass ich den Vortrag nicht schaffe." war genau dieser Beobachter am Werk. Und durch diesen Prozess des Beobachtens entsteht sofort ein bisschen Distanz zwischen mir und dem Gedanken. Probiere es doch selbst einmal aus - vielleicht noch mit dem Zusatz: "Ich bemerke, dass ich den Gedanken habe, dass...". Achte darauf, welche Gefühle der Gedanke dann noch in dir auslösen kann. Die meisten Menschen machen die Erfahrung, dass die Gefühle ein kleines bisschen schwächer werden, wenn sie die Gedanken bemerken und formulieren. Zusätzlich kann der Beobachter noch sortieren indem er jedem Gedanken eine Art Etikett verpasst und sie so verschiedenen Kategorien zuordnet. Kategorien für Gedanken können so etwas sein wie Pläne, Befürchtungen, Hoffnungen usw. Der Gedanke von eben, den Vortrag nicht zu schaffen fällt unter Befürchtungen (logisch, oder?). Wie fühlt es sich jetzt an, wenn der Gedanke benannt und in eine Kategorie einsortiert ist? Wie groß ist jetzt die Distanz?
Sich in dieser Form selber beim Denken zuzusehen bringt ein wenig Abstand zwischen uns und unsere Gedanken. Ein bisschen, als würden wir uns weiter von einem Bildschirm entfernen, auf dem diese Gedanken gezeigt werden. Und je weiter ich von diesem Bildschirm weg bin, umso mehr sehe ich von der Umgebung und kann freier entscheiden, was ich tun möchte: ob ich weiter auf den Bildschirm schauen möchte oder ob ich den Spaziergang im Park machen möchte oder den Vortrag halten möchte. Mein Verstand befüllt derweil weiter den Bildschirm mit Gedanke um Gedanke. Das ist auch gut so, denn er will mich schützen.
Ein bisschen ist der Verstand wie ein Kellner bei einem Empfang: er bringt eine Platte voll mit verschiedenen Häppchen, ich bedanke mich und wähle davon aus, was ich mag oder was mir gut tut. Und ich lasse den Rest freundlich zurückgehen und komme vielleicht später darauf zurück oder auch nicht. Denn: Gedanken sind nur Angebote. 
Welche Gedanken bietet dein Verstand dir immer wieder an? Wie viel Distanz hast du zu ihnen? Und wie ist es für dich, wenn du freundlich mit deinem Verstand bist, aber nicht jedes Angebot annimmst?
Quelle und Lesetipp zu diesem Thema: Russ Harris "Wer dem Glück hinterher rennt, läuft daran vorbei", Kapitel "Der große Geschichtenerzähler"
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