H wie Hausaufgaben

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"Hat Ihre (frühere) Therapeutin Ihnen Hausaufgaben gegeben? Dann war es eine Verhaltenstherapie." So ist meine grobe Daumenregel, die natürlich nicht immer stimmt. Aber was stimmt ist: Gerade in der Verhaltenstherapie wird viel Wert darauf gelegt, dass Patienten sich zwischen den Sitzungen selbstständig mit den Inhalten der Psychotherapie beschäftigen. Das sind aber (bei mir zumindest) natürlich keine Hausaufgaben in dem Sinne, wie es früher in der Schule war. Es gibt dafür kein Lehrbuch, keine Seitenzahl und keine Aufgabennummer. Und vor allem: es gibt keinen Ärger, wenn die Hausaufgaben nicht gemacht wurden! Aber wie funktionieren Hausaufgaben in der Psychotherapie dann? Das möchte ich euch heute erklären!
Meine erste Hausaufgabe für meine Patienten ist immer ein Stapel Papier - Fragebögen zu psychischen Symptomen, der Lebensgeschichte und den Zielen für die Therapie. Danach können Hausaufgaben bei mir total unterschiedlich aussehen und müssen nicht immer mit Stift und Papier stattfinden. Ganz oft sage ich so etwas wie: "Beobachten Sie doch mal, wie das im Verlauf der Woche ist bis zu unserem nächsten Termin." oder: "Probieren Sie doch mal aus, wie es ist, wenn Sie das jetzt so machen, wie wir es heute überlegt haben." Das ist dann also weniger eine klare Aufgabe mit Datum und Uhrzeit, als vielmehr ein ausprobieren und beobachten. Deswegen nenne ich Hausaufgaben auch gerne Verhaltensexperimente. Oder gebe dem gar keine expliziten Namen - ich will ja eben keine Schulsituation haben. 
Deshalb gebe ich die Aufgabe auch nicht auf und denke sie mir selber aus, sondern die Aufgabe entsteht immer gemeinsam in der Sitzung. Und das natürlich auch nicht jede Stunde! Oftmals gibt es keine explizite Aufgabe. Ich gehe immer davon aus, dass das, was wir in der Sitzung besprechen, danach im Patienten weiter arbeitet, mal mehr, mal weniger bewusst. Und manchmal bin ich dann in der nächsten Sitzung selber total überrascht, was genau meine Patienten noch beschäftigt hat und was daraus entstanden ist. Diese Kreativität braucht einfach die Zeit und was dann dadurch passiert, kann ich auch nicht vorhersagen. Genau das ist ja das spannende am Therapieprozess. Und dann arbeiten wir eben von da wieder weiter.
In der Schule war ja die blödeste Situation immer, sagen zu müssen, dass man seine Hausaufgaben nicht gemacht hat. Dieser Stachel scheint tief zu sitzen, viele Patienten haben ein total schlechtes Gewissen oder kommen womöglich nicht zur nächsten Stunde, weil sie glauben, ihre Hausaufgaben nicht gemacht zu haben. Und das ist das Tolle: In der Psychotherapie gibt es das gar nicht, Hausaufgaben nicht gemacht! Denn: wenn jemand etwas nicht gemacht hat, hat das immer seine Gründe. Die können wir herausfinden und aus ihnen wiederum lernen. Vielleicht war es die falsche Aufgabe zum falschen Zeitpunkt. Vielleicht fällt genau das im Alltag auch oft schwer und wir haben ein neues Thema gefunden oder können das aktuelle Thema genauer eingrenzen und bearbeiten. Vielleicht erscheint es aber auch nur so, als wäre die Aufgabe misslungen, und eigentlich hat sie bereits etwas angestoßen oder können wir schon ganz direkt daraus etwas lernen, vielleicht auch über Deinen Anspruch an Dich selbst. 
Das habe ich neulich erst erlebt: Mein Patient hatte die Aufgabe, eine Mahlzeit alleine am Tisch einzunehmen und zu beobachten, welche Gedanken und Gefühle dabei aufkommen, die es ihm schwer machen, regelmäßig am Tisch zu essen, obwohl er weiß, dass das gut für ihn wäre. Er kam in die nächste Stunde und war total enttäuscht von sich, weil er es nicht durchgehalten hatte, bis zum Ende der Mahlzeit am Tisch sitzen zu bleiben. Er hatte sich da so einsam gefühlt, dass er mit seinem Essen zum Fernseher umgezogen ist. Und genau das war die entscheidende Erkenntnis aus der Aufgabe: es geht um ein (altes, kindliches) Gefühl von Einsamkeit, das in der Situation des Essens so stark wird, dass er davor flüchtet bzw. die Situation von vorneherein vermeidet. Und an diesem Gefühl von Einsamkeit können wir jetzt weiter arbeiten. Wir konnten genau daraus, dass er abgebrochen hat, die entscheidende Information gewinnen. 
Habt also bitte den Mut, Hausaufgaben nicht zu machen, abzubrechen oder abzuwandeln!

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